Overconstrained

Paul.Bayer am 26. April 2010 um 23:14

Yoroi: japanische Rüstung

Overconstrained bedeuted „zu stark eingeschränkt“. Durch organisatorische Bedingungen werden die Leute manch­mal derart stark eingeschränkt, dass sie sich kaum mehr bewegen können. In der Folge gehen die sozialen Interaktionen stark zurück und die Beweglichkeit und Produktivität der gesamten Organisation nimmt stark ab. Die Arbeit wird zum ständigen Über­lebenskampf. Die klassi­schen Methoden, um die Produktivität und das organisatorische Leben zum Erliegen zu bringen, sind:

Multitasking: Verwickle die Leute in möglichst viele parallele Aufgaben unter Zeitdruck mit ständigen Unterbre­chungen, so dass sie sich auf nichts richtig konzentrieren und nichts richtig zu Ende bringen können.

Balanced Line mit Variation: Richte einen Arbeitsablauf im Namen der Effizienz so ein, dass ein Arbeitsschritt direkt und ohne Zwischenpuffer vom anderen abhängig ist. Bearbeite mit dieser Arbeitsorganisation variable Arbeitsinhalte mit Unterbrechungen und du kannst sicher sein, dass ein Stop-and-go-Betrieb entsteht, die Produktivität in den Keller geht und die Leute nahe an die Verzweiflung kommen. Das ist die sicherste Methode für einen ständig wandernden Flaschenhals.

Lokale Effizienzmeßgrößen: Führe Meßgrößen ein, nach denen die Leute daran gemessen werden, dass sie ständig beschäftigt sind. Am besten, du koppelst die Entlohnung daran und du kannst sicher sein, dass deine Bestände bis an die Decke gehen und kein Auftrag rechtzeitig fertig wird.

Unerreichbare Ziele: Mache die Leute für unerreichbare Ziele verantwortlich. Sie werden sich so bestimmt mehr anstrengen und nichts anderes mehr als das Wohl der Firma im Sinn haben. Du wirst als Manager sicher für deinen Mut und deine Rücksichtslosigkeit Anerkennung finden.

Fehlende Ressourcen: Mache die Leute für ein Ziel verantwortlich, aber stelle ihnen die notwendigen Ressourcen zur Zielerreichung nicht zur Verfügung. Das ist eine raffiniertere Spielart des vorhergehenden Punktes. So bringst Du die Leute ganz sicher in einen unlösbaren Konflikt.

Null-Fehler: Verlange Null Fehler und gleichzeitig Innovation und Verbesserung. So kannst Du sicher sein, dass die Leute immer Angst haben. Wenn die Leute etwas neues machen, werden sie Angst vor Fehlern haben. Wenn sie Fehler vermeiden wollen, werden sie keine Verbesserungen zustande bekommen.

Starke Funktionsteilung: Teile die Arbeit stark in verschiedene Funktionen, womöglich in unterschiedlichsten Abteilungen auf. So sind die Leute auch bei der Erledigung der kleinsten Aufgaben genötigt, zusammenzuarbeiten. Die Funktions­teilung gewährleistet hohe Effizienz der Arbeitsausführung.

Best Practice: Verlange von den Leuten immer den Einsatz von „best Practice“, auch in neuen und komplexen Situationen. So werden sie sich bestimmt nicht trauen, über neue Lösungen nachzudenken. Eine besonders raffinierte Spielart dieser Technik ist es, die anderen aufgeführten Techniken als „Best Practice“ auszugeben oder sie als „Benchmark“ hinzustellen. So kannst Du eine sichere Falle bauen.

In Kombination ergeben diese Techniken ein tödliches Gemisch. Wenn Du einer Organisation schaden oder sie sicher ruinieren willst, dann infiltriere sie mit diesem Gedankengut. Es wird seine zerstörerische Wirkung nicht verfehlen.

PS: alle Übereinstimmungen mit bestehenden Praktiken in realen Organisationen wären purer Zufall und entsprächen nicht der Absicht des Autors. Der Autor glaubt an das Gute im Menschen und denkt ausdrücklich nicht, dass irgendjemand ernsthaft in Erwägung ziehen könnte, solche Techniken in Einsatz zu bringen, auch nicht bei seinem ärgsten Feind.

Motoren der Disharmonie

Spaß (oder Ernst) beiseite: diese Mechanismen oder Konflikte sind wirkliche Quellen von Friktion und Disharmonie [1] in Organisationen. Wenn sie systema­tisch eliminiert werden, kann eine deutliche Reduzierung von Komplexität, eine enorme Verbesserung des Betriebsklimas und der Wirksamkeit und Produktivität einer Organisation erreicht werden. Ein Entfernen dieser Motoren der Disharmonie ermöglicht das Entfalten von Selbstorganisation im Unternehmen.

[1]
E.M. Goldratt, der Schöpfer der Theory of Constraints bezeichnet sie als „engines of disharmony“. Im Lean Manage­ment werden sie als „Muri“, als Nichtbeachtung der natürlichen Ordnung oder Überlastung bezeichnet. Die Hauptaufgabe des Managements ist es, Muri zu eliminieren.

Ähnliche Beiträge:

2 Kommentare zu “Overconstrained”

  1. Christian Fürschuss

    Servus Paul,

    danke für deinen Artikel!
    Nach meinen letzten Erfahrungen reichen zwei dieser Punkte schon aus, um die Spirale effizient nach unten in Gang zu setzen und die Organisation an die Wand zu fahren. Mit allen Punkten gehts natürlich schneller ; )

    Ein Punkt passt vielleicht noch zum überbestimmten System:
    Gib möglichst vielen Personen/Vorgesetzten Verantwortung für den selben Bereich. Beim betroffenen (untergebenen) Mitarbeiter wird die Verwirrung steigen und der Erfüllungsgrad seiner Aufgaben zuerst subjektiv (da er es niemanden recht machen kann, sinkt das Vertrauen in ihm), und danach objektiv (Motivation, Fehleranfälligkeit) sinken.
    Die Organisation überholt sich selber, da nach kurzer Zeit nur mehr wenige bis gar keine Verantwortlichen ernst genommen werden.

    LG, Christian

  2. Paul.Bayer

    Hallo Christian,

    ja Du hast recht, ich muss die Sammlung ergänzen. Das Problem, das Du anschneidest, trifft auch auf Matrixorganisationen zu, in denen die Projekt- und Funktionsverantwortlichen gleichgestellt sind. Sie greifen mit unterschiedlichen Aufträgen auf dieselben Mitarbeiter zu. Dann wird der bedient, der am lautesten schreit. Oder die Mitarbeiter „wursteln sich durch“.

    Viele Grüße, Paul

Einen Kommentar schreiben:

*
To prove you're a person (not a spam script), type the security word shown in the picture. Click on the picture to hear an audio file of the word.
Click to hear an audio file of the anti-spam word