Wir schaffen das!

Paul.Bayer am 19. April 2010 um 22:53

Lean hat viele Wurzeln in den USA. Eine der wichtigsten davon ist „Training Within Industry“. TWI war ein Teil der Arbeit der US „War Manpower Commission“ im zweiten Weltkrieg, die den Aufbau der Industrie für Rüstungsgüter ermöglichen sollte, während gleichzeitig ein großer Teil der bisherigen Industriearbeiter zum Kriegsdienst eingezogen war.

Es ging also um einen Kraftakt: mit zum Großteil in Industriearbeit unerfahrenem Personal die Konversion der Industrie auf Kriegsgüter zu bewältigen, gleichzeitig Expansion und Qualitätsverbesserung zu ermöglichen. Die War Manpower Com­mission (WMC) wusste, dass das der entschei­dende Beitrag zum Sieg im Zweifronten­krieg war.

Die WMC hatte während des Krieges nahezu diktatorische Gewalt über alle Industriebeschäftigten und war ermächtigt, soweit nötig, jeden Erwachsenen im Land zu mobilisieren. Die TWI-Programme und ihr Setzen auf die Mobilisierung der Intelligenz der Mitarbeiter sind aber das Geheimnis hinter der amerikanischen Rüstungsmaschinerie im zweiten Weltkrieg, hinter der Qualität ihrer Waffen und zum Teil auch hinter der Dominanz der amerikanischen Industrie in der Nach­kriegszeit.

Führungskräftetraining

TWI wurde 18 Monate vor dem Kriegseintritt der USA eingerichtet. Die Strategie von TWI bestand darin, ein Trainingsprogramm zu entwickeln und zu verbreiten, das die – teilweise neuen – Führungskräfte (Supervisors) im Shopfloor befähigte, die gewaltigen Umstellungen, Unterweisungen, Produktivitätssteigerungen und Problemlösungen selbst durchzuführen. Der „Operative Plan“ von TWI bestand aus den folgenden Teilen:

  1. Kläre die Verantwortung.
  2. Gebe allen Führungskräften das grundlegende Training.
  3. Trainiere die Führungskräfte.
  4. Berichte die Ergebnisse.
  5. Gebe Anerkennung für Ergebnisse.

Die fünf grundlegenden Führungsaufgaben

Zur Entwicklung und Verbreitung des Programms definierte TWI fünf grundlegende Aufgaben für Führungskräfte, unterschieden nach Kenntnissen und Fähigkeiten.

Unternehmens- oder branchenspezifisches Kenntnisse von Führungskräften, um ihre Aufgaben zu erledigen:

  1. Kenntnisse der Arbeit.
  2. Kenntnisse der Verantwortlichkeiten.

Branchen- und unternehmensunabhängige Fähigkeiten von Führungskräften, um ihre Rolle auszufüllen:

  1. Fähigkeiten zur Unterweisung
  2. Fähigkeiten zur Verbesserung
  3. Fähigkeiten zur Führung

Für die drei Fähigkeiten entwickelte und lieferte TWI die Trainings:

Thema Bezeichnung Zertifikate 1941–1945
Arbeitsunterweisung Job Instructions (JI) 1.005.170 
Führung Job Relations (JR) 490.022 
Verbesserung Job Methods (JM) 244.773 

Jedes Training lief im Unternehmen über eine Woche (5×2h) und beinhaltete praktische Übungen, Aufgaben und Anwendungen sowie Coaching durch den Trainer. Für die Trainer gab es spezielle Train-the-Trainer-Programme. Die Trainings zeichnen sich durch ihre Einfachkeit und praktische Verwendbarkeit aus. Sie sind heute noch aktuell und anwendbar. Mit diesen Trainings wurden Klassiker entwickelt und eingeführt wie die Vier-Stufen-Methode der Arbeitsunter­weisung, systematisches Hinterfragen mit den sechs W-Fragen oder EKUV (Eliminie­ren, Kombinieren, Umstellen, Vereinfachen).

TWI in Japan

Der TWI-Service wurde in den USA am 28.9.1945 mit dem Ende des zweiten Weltkriegs aufgelöst. Die US-Unternehmen haben die Programme nicht fortgeführt. Erst über 30 Jahre später kam TWI mit Toyota in die USA zurück. TWI-Programme wurden in der Nachkriegszeit aber in vielen anderen Ländern zum Wiederaufbau eingesetzt, unter anderem in Großbritannien, Neuseeland, Indonesien, Mexiko.

Nach einem Anstoß durch den Stab der US-amerikanischen Besatzungstruppen in Japan übernahmen die Japaner 1949 die TWI-Programme komplett und benutzen sie noch heute. Die TWI-Programme wurden zur Basis der Trainingsprogramme für die Mitarbeiter in der japanischen Industrie, der Entwicklung der Standards und der „japanischen“ Mentalität der direkten Beobachtung vor Ort.

In keinem Land wurde die urdemokratische Art von TWI, die Mitarbeiter selbst in die Gestaltung der Arbeit einzubinden, so verstanden und langfristig umgesetzt wie in Japan. Das Toyota Produktionssystem hat Elemente von TWI aufgegriffen und weiterentwickelt.

Die TWI-Programme sind heute in der Public Domain [1]. Eine Auseinander­setzung mit ihnen lohnt sich für jeden, der die Potenziale von Lean verstehen und nutzen will.

[1]
die vollständigen TWI-Unterlagen sind im Netz beim Training Within Industry Service verfügbar. Dort gibt es auch einen Blog. Lesenswert ist auch der Artikel von Jim Huntzinger: Roots of Lean. Ausführlichere Informationen und Hintergründe finden Sie in:

Donald A. Dinero: Training Within Industry, The Foundation of Lean; Productivity Press, 2005 (einige Informationen dieses Beitrags sind diesem Buch entnommen).

Patrick Graupp, Robert J. Wrona: The TWI Workbook, Essential Skills for Supervisors; Productivity Press, 2006

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2 Kommentare zu “Wir schaffen das!”

  1. Dieter Onken

    Hallo Paul,

    Schon sehr interessant wie die Amerikaner das TWI entwickelt haben und wie so oft am ende nicht weiter entwickelt wurde. Die Japaner und auch wir Deutschen sind diesbezueglich ganz anders organisiert.

    Fuer mich ist Lean nur ein Teil des Ganzen, wie auch TOC.Wie schon frueher erwaehnt, wir praktizieren Lean in unserem kleinen Vermietungs Buero und machen zur Zeit keine Werbung. Der Kunde kommt zu uns weil er weiss das wir Ihm das liefern was er haben will.

    Mit freundlichen Gruessen

    Dieter Onken

  2. Paul.Bayer

    Hallo Dieter,

    das Traurige dabei ist doch, dass die Erfolge des TWI-Programms und seine Erfolge schließlich dazu geführt haben, dass es aufgegeben wurde („wir brauchen das jetzt nicht mehr!”).

    Die Grundlagen von TWI sind zeitlos. Aber die Menschen (Management, Mitarbeiter …) sind bis heute nicht überzeugt, dass wir besser damit fahren, wenn wir diese Grundlagen kontinuierlich praktizieren. Was können wir Besseres tun als diese Grundlagen lebendig zu halten?

    Ja, und Lean, TOC sind Teil des Ganzen und ermöglichen einen Blick auf das Ganze – so wie früher eine vereiste Fensterscheibe. Als Kinder konnten wir ein kleines Loch ins Eis kratzen oder hauchen und einen Blick aufs Ganze werfen.

    Herzliche Grüße,
    Paul

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