Demings Kettenreaktion

Paul.Bayer am 9. February 2010 um 18:47

W. Edwards Deming stellte in „Out of the Crisis“ das Bild der Kettenreaktion durch Qualitätsverbesserung noch vor das Produktionssystem:

Als Ergebnis des Besuchs eines ausländischen Experten im Sommer 1950 wurde die folgende Kettenreaktion zu einem festen Bestandteil des Lebens in Japan. Diese Kettenreaktion stand bei jedem Treffens mit dem japanischen Topmanagement nach dem Juli 1950 an der Tafel.

Die Demingsche Kettenreaktion

Die Produktionsarbeiter in Japan wussten wie überall sonst in der Welt immer von dieser Kettenreaktion; auch, dass Defekte und Fehler, die bis zum Kunden weitergehen, zu Marktverlust führen und ihre Arbeits­plätze gefährden.

Als sich aber das Management in Japan der Kettenreaktion annahm hatten dort alle seit 1950 ein gemeinsames Ziel, nämlich Qualität. [1]

Deming hatte die Idee für die Kettenreaktion von Walter Shewhart übernommen. Das war neues Denken: Qualität als Wettbewerbsstrategie [2]. Die Ergebnisse waren in der Tat erstaunlich. Welche Potenziale wurden durch diese Strategie freigesetzt?

1. Hebel: Verringerung von Komplexität

In Organisationen gibt es große Komplexität, verursacht durch Mehrfacharbeit, Arbeitsvorräte, Fehler, unklare Prozesse, Schnittstellen und Verantwortungen, durch Multitasking, Konflikte … Komplexe Abläufe sind nicht vorhersagbar und zeichnen sich durch folgende Symptome aus:

  1. ständig fehlen Teile, Anlagen, Ressourcen oder Informationen,
  2. der Arbeitsfluss ist nicht linear,
  3. ständig gibt es Veränderungen im Prozess ohne dass Wirkungen und Zusam­menhänge klar sind,
  4. Aufgaben und Wahrnehmungen sind zersplittert. Ständig ist jemand anders verantwortlich.
  5. Die Mitarbeiter im Prozess behindern sich gegenseitig oder sie werden durch das System eingeschränkt.
  6. Ziele sind nicht vorhanden, unklar oder widersprüchlich.

Durch Fokus auf Qualitätsverbesserung nehmen diese Erscheinungen ab. Ein Abgleich der Ziele des Managements untereinander und mit den natürlichen Zielen der Produktionsmitarbeiter ermöglicht eine Ausrichtung der Organisation und entwickelt Selbstorganisation. Fokus auf Verbesserung führt zu einem vertieften Wissen über den Prozess und macht weitere Potenziale sichtbar. Fluss und Aufgaben werden klarer, der Prozess stabiler, die Abläufe einfacher. Auch wenn Qualitätsverbesserung für sich noch kein Engpassmanagement ist: bessere Qualität hat eine große nichtlineare und positive Hebelwirkung auf die Wirksamkeit des gesamten Prozesses.

2. Hebel: Fokus auf den Engpass der Zielgruppe

Mit der Empfehlung an das japanische Management, sich auf Qualität und Kundennutzen zu fokussieren, löst Deming eine positive Rückkopplung (Ketten­reaktion) zwischen besserem Erfüllen der Kundenbedürfnisse und mehr Nach­frage, weiterer Angebotsverbesserung, weiter steigendem Ansehen usw. aus. Dieser Prozess entspricht dem der EKS-Erfolgsspirale oder der roten Kurve der TOC [3].

Interner und externer Engpass

Der Nachfrageengpass wird durch ein verbessertes Produkt- oder Serviceangebot überwunden, da die Probleme des Kunden besser gelöst werden als von den anderen Anbietern. Ein verbessertes Verständnis der Kundenprobleme ermöglicht es, ein Angebot zu entwickeln, das die Probleme der Zielgruppe besonders gut erfüllt. Um dieses „unwiderstehliche“ Angebot schrittweise zu entwickeln und die Nachfrage nach diesem Angebot zu erfüllen, müssen die eigenen Engpässe (Kapital, Know-how …) angegangen werden. Das fokussierte Verstehen und Lösen des externen Engpasses zusammen mit dem gezielten Identifizieren, Ausnutzen und Erweitern des jeweiligen internen Engpasses ermöglicht eine stabile WIN-WIN-Situation zwischen dem Unternehmen und seinen Kunden [4].

Die Demingsche Kettenreaktion entsteht also durch zwei Mechanismen:

  • durch die Bündelung der Kräfte und die daraus folgende Reduzierung der Komplexität und
  • durch die Ausrichtung auf den wirkungsvollsten Punkt.

Damit entsprach Demings Empfehlung an das japanische Topmanagement den beiden ersten Prinzipien der engpasskonzentrierten Strategie (EKS) und der Theory of Constraints (TOC): 1) Fokus auf den 2) Engpass. Die Wirkung dieser Vorgehensweise ist wie immer und immer wieder gezeigt einem ergebnis­orientierten Ansatz (Management by Results) haushoch überlegen. Sie führt zu hervorragenden Ergebnissen, fokussiert aber nicht auf das Ergebnis sondern auf den Kundennutzen – ein kleiner aber entscheidender Unterschied. Die Deming­sche Kettenreaktion ist heute noch aktuell und anwendbar. Dafür gibt es einige prominente Beispiele. Wäre das etwa nicht ein bewährter Ansatz zur Überwindung der Wirtschaftskrise?

[1]
W. Edwards Deming: Out of the Crisis; MIT Press, 2000. S. 3. Der ausländi­sche Experte war Deming selbst.
[2]
Vgl. John Dowd: The Deming Chain Reaction
[3]
Vgl. dazu die Beiträge „Das Minimumgesetz“ und „Grüne und rote Kurven“.
[4]
Bei der Unterscheidung zwischen internem und externem Engpass benutze ich die Begrifflichkeit der EKS. In der EKS ist der externe Engpass derjenige, der die Zielgruppe in ihrer Entwicklung behindert. In der TOC ist ein externer Engpass ein Nachfrage- oder Versorgungsengpass. Das Denken der EKS ist hier direkter und wirksamer. Auch wenn TOC und EKS zu denselben Ansätzen kommen, ist die Kundenorientierung in der EKS ausgeprägter.

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